Migration und Mobilität
Migration gehört zu den zentralen Themen unserer Gegenwart. In den Nachrichten begegnen uns täglich Beiträge zur sogenannten "Flüchtlingskrise". Wirtschaftsunternehmen beklagen einen "Fachkräftemangel" und fordern den erleichterten Zugang für Migrantinnen und Migranten auf dem Arbeitsmarkt. Rechtspopulistische Parteien poltern gegen eine angebliche "Überfremdung", europaweit stellen nationalistische Bewegungen die Personenfreizügigkeit in Frage. In den Medien und am Stammtisch wird über den Zusammenhang von Migration und Terrorismus diskutiert – die 2015 ausgerufene "Willkommenskultur" weicht mehr und mehr einer Angstkultur. In diesen Debatten fallen insbesondere zwei Dinge auf. Erstens wird Migration in der Regel mit "Einwanderung" gleichgesetzt. Dass auch im Jahr 2015 den gut zwei Millionen Zuwandernden etwa eine Million Auswandernde gegenüberstand, wird öffentlich kaum wahrgenommen [1]. Zweitens wird Migration vor allem als Problem dargestellt. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt jedoch, dass Migration weniger Problem- als vielmehr Normalfall ist und äußerst vielschichtige und komplexe Erscheinungsformen aufweist.
Migration – verstanden als multidirektionale Mobilität im geografischen Raum – ist eine Grundbedingung menschlicher Existenz. Seitdem der Mensch aufrecht gehen kann, prägen Bevölkerungsbewegungen die Kulturgeschichte der Menschheit [2]. Gerade bei der näheren Betrachtung der deutschen Vergangenheit wird deutlich, dass Migration kein historischer Ausnahmezustand unserer Gegenwart ist. Millionen von Menschen migrierten aus, durch oder nach Deutschland. Als Beispiele genannt seien hier nur die deutsche Siedlungsbewegung nach Südost-, Ostmittel- und Osteuropa im 18. Jahrhundert, die transatlantischen Massenemigrationen aus dem Deutschen Kaiserreich nach Nord- und Südamerika sowie das ungeheure Ausmaß an Gewalt- und Zwangsmigrationen in und nach den beiden Weltkriegen, die sich in forcierten Emigrationen, Deportationen und Umsiedlungen manifestierten. Dazu kommen zahlreiche regionale und transnationale Zu-, Rück- und Pendelwanderungen von Dienstmädchen, Arbeitern, Studierenden, Künstlerinnen, Wanderhändlern, Kaufleuten, Handwerkern, Kuraufenthalterinnen, Söldnern, Heiratswilligen, Missionaren, Asylsuchenden u.v.m. [3].
Hamburger Migrationsgeschichte(n)
Als deutsche Metropole und Hafenstadt ist auch Hamburg maßgeblich von Migrationsbewegungen geprägt worden. In Hamburg bestiegen Millionen von Menschen einen Dampfer, um in Amerika ein neues Leben zu beginnen. Tausende Hamburger Juden, Roma und Sinti wurden in der NS-Zeit vertrieben oder in Ghettos und Vernichtungslager deportiert. Die Hansestadt war aber auch immer Zielort oder Zwischenstation vieler Migrantinnen und Migranten. Ende 2015 hatte jede/r Dritte in Hamburg einen Migrationshintergrund [4]. Die Hamburger Stadtgeschichte ist also in besonderem Maße auch Migrationsgeschichte.
Die hier versammelten Interviews aus der Werkstatt der Erinnerung, dem Oral-History-Archiv an der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg, werfen ein Schlaglicht auf bekannte und weniger bekannte Migrationsbewegungen der hamburgischen und deutschen Geschichte.
Interviews
- Esther Bauer: Emigration von Holocaustüberlebenden in die USA
- Huriye Bozkurt: Türkische Arbeitsmigration nach Hamburg
- Georg Ehlers: Anwerbung von "GastarbeiterInnen" für deutsche Konzerne
- Gerda Grüttner: Studentische Mobilität in der Bundesrepublik
- Melanie Hütter: Abwanderung aus der sowjetischen Besatzungszone
- Gabriela Janczur: Displaced Persons im Nachkriegsdeutschland
- Hellmuth Lasch: Gesellenwanderung
- Fred Leser: Deportationen aus Hamburg
- Franziska Lorenz: Deutsche Sinti unterwegs
- Jenny Marmorstein: Flucht vor der nationalsozialistischen Verfolgung
- Kathrin Offen-Klöckner: Au-Pair-Mädchen in der Schweiz
- Heinz Prieß: Internationale Milizionäre im Spanischen Bürgerkrieg
- Isabell von Siebold: Deutsche Kaffeeproduzenten und -händler in Costa Rica
- Rita Uhlich: Mobilität als (links-)alternative Lebensweise
- Ilan Wolff: Künstlerwanderung
In der Werkstatt der Erinnerung finden Sie zahlreiche weitere Interviews, die das Thema Migration und Mobilität berühren. Hier geht es zur Beständeübersicht.
Anmerkungen
[1] ↑ Im Jahr 2015 wanderten 2.137.000 Personen nach Deutschland, davon hatten 2.016.000 keinen deutschen Pass. 998.000 Personen verließen die Bundesrepublik, darunter 138.000 Deutsche. Statistisches Bundesamt: Pressemitteilung Nr. 246 vom 14.07.2016.
[2] ↑ Klaus J. Bade u.a. (Hg.): Enzyklopädie Migration in Europa. Vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Paderborn u.a. 2007, S. 19.
[3] ↑ Einen ausführlicheren Überblick über Migrationen aus und nach Deutschland geben: Klaus J. Bade/Jochen Oltmer: Normalfall Migration, Deutschland im 20. und frühen 21. Jahrhundert (Bundeszentrale für politische Bildung, Zeitbilder, Bd. 15), Bonn 2004. Zur Kategorisierung verschiedener Migrationsformen, vgl. Jochen Oltmer (Hg.): Handbuch Staat und Migration in Deutschland seit dem 17. Jahrhundert, Berlin/Boston 2016, 21-23.
[4] ↑ Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein (Hg.): Statistik informiert Nr. 1/2016, S. 1.
Personen haben laut dieser Statistik einen Migrationshintergrund, wenn sie nach 1949 zugewandert sind oder mindestens ein Elternteil haben, das zugewandert oder in Deutschland als Ausländer geboren ist.